Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer
Jede arbeitgeberseitige Kündigung eines Schwerbehinderten oder gleichgestellten Behinderten (§ 2 Abs. 3 SGB IX) bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX).
Der Sonderkündigungsschutz gilt für Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer (§ 85 SGB IX). Beginn des Sonderkündigungsschutzes gemäß § 85 SGB IX, drei zeitliche Voraussetzungen:
1. Das Arbeitsverhältnis muss im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestehen § 90 Abs. 1 SGB IX).
2. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung muss ein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beim Versorgungsamt (§ 69 Abs. 1 SGB IX) bzw. ein Antrag auf Gleichstellung beim Arbeitsamt (§ 68 Abs.2 AGB IX) bereits gestellt sein.
Stellt der Arbeitnehmer den Feststellungsantrag bei dem Versorgungsamt erst nach Zugang der Kündigung, besteht auch dann kein Sonderkündigungsschutz, wenn das Versorgungsamt die Schwerbehinderteneigenschaft (GdB von mindestens 50) rückwirkend für eine Zeit vor Zugang der Kündigung feststellt.
Nach anderer Auffassung ist ein Feststellungsantrag vor Kündigungszugang bei Schwerbehinderten (§ 2 Abs. 2 SGB IX) nicht erforderlich (KR-Etzel, 6. Auflg. 2002, §§ 85-92 SGB IX Rn. 23; Kidner / Deubler / Zwanziger, 5. Auflg. 2001, § 15 Schwerbehindertengesetz Rn. 23).
3. Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderteneigenschaft innerhalb von einem Monat nach Zugang der Kündigung mitteilen (BAG vom 23.02.1978-2 AZR 462/76-AP Nr. 3 zu § 12 Schwerbehindertengesetz).
Ordentliche Kündigung
Der Arbeitgeber muss die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung schriftlich beantragen, bevor er kündigt (§ 87 Abs. 1 S. 1 SGB IX).
Das Verfahren richtet sich nach SGB X. Es gilt Amtsermittlung (§§ 20-23 SGB X).
Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber nur innerhalb eines Monats die Kündigung gegenüber dem Schwerbehinderten erklären (§ 88 Abs. 3 SGB IX).
Nach § 90 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IX gilt die Vorschrift des § 85 SGB IX nicht für Schwerbehinderte, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als 6 Monate besteht. Gemäß § 90 Abs. 3 SGB IX zeigt der Arbeitgeber die Beendigung von Arbeitsverhältnissen schwer behinderter Menschen in den Fällen des Abs. 1 Ziff. 1 unabhängig von der Anzeigepflicht nach anderen Gesetzen dem Integrationsamt innerhalb von 4 Tagen an.
Außerordentliche Kündigung
Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen seit Kenntnis des Arbeitgebers von den maßgebenden Tatsachen beim Integrationsamt beantragt werden (§ 91 Abs. 2 SGB IX). Das Integrationsamt hat innerhalb von zwei Wochen zu entscheiden, andernfalls wird seine Zustimmung fingiert (§ 91 Abs. 3 SGB IX).
Vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung ist der Betriebsrat ordnungsgemäß anzuhören (§ 102 Abs. 2 S. 3 Betriebsverfassungsgesetz).
Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Arbeitgeber von dem für die Kündigung maßgebende Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 626 Abs. 2 BGB).
Das Anhörungsverfahren nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz muss vor Fristablauf bereits durchgeführt sein.
Gegen die Entscheidungen des Integrationsamtes ist Widerspruch und Anfechtungsklage (für den Schwerbehinderten) bzw. Verpflichtungsklage (für den Arbeitgeber) zum Verwaltungsgericht gegeben.
Fehlt die Bestandskraft der Entscheidung des Integrationsamtes oder ist ein verwaltungsgerichtliches Verfahren über sie anhängig, kann der Arbeitsrechtsstreit ausgesetzt werden (§ 148 ZPO), wenn die Kündigung nicht bereits aus anderen Gründen unwirksam ist. Die Aussetzung liegt im Ermessen des Arbeitsgerichts. Gegen die rechtskräftige Abweisung seiner Kündigungsschutzklage und spätere Versagung der Zustimmung kann der Schwerbehinderte Restitutionsklage erheben (§ 580 Nr. 6 ZPO).